Bundeskanzler kann verfassungsrechtliche Konsequenzen des Koalitionsvertrags nicht beurteilen
Friedrich Merz hat in seiner Sommerpressekonferenz vom 18. Juli erstmals eingeräumt, dass eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus dem Koalitionsvertrag folgen könnte. Der Bundeskanzler erklärte, er könne nicht abschließend beurteilen, welche Rechtsfolgen die geplante Ausweitung der Krankenversicherungsleistungen bei Schwangerschaftsabbrüchen haben werde.
Die gescheiterte Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf hatte bereits am Dienstag bei Markus Lanz dargelegt, dass der Koalitionsvertrag faktisch eine Legalisierung von Abtreibungen voraussetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf eine Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung nur bei rechtmäßigen Eingriffen bestehen. Das Bundesgesundheitsministerium hatte auf entsprechende Nachfragen lediglich mitgeteilt, konkrete Gesetzesvorhaben seien noch nicht spruchreif.
Merz' Unwissen über die verfassungsrechtlichen Implikationen des eigenen Regierungsprogramms zeigt sich drei Monate nach der Regierungsbildung. Der Kanzler konnte nicht erklären, ob das Strafrecht geändert werden muss, wenn Sozial- und Krankenkassenrecht angepasst werden. Seine Vermutung, dass deswegen jedenfalls nichts geändert werden müsse, steht im Widerspruch zu den Ausführungen der Verfassungsrechtlerin. Die Koalitionsverhandlungen waren bereits im November 2024 abgeschlossen worden, doch erst jetzt räumt Merz ein, die rechtlichen Konsequenzen der vereinbarten Reformvorhaben nicht zu kennen. Seine Antwort auf die Frage nach möglichen Änderungen des Strafrechts blieb ausweichend.
Die Koalition steht nach zwei gescheiterten Wahlen unter Druck. Erst scheiterte Merz im ersten Wahlgang der Kanzlerwahl, dann verhinderten Unionsabgeordnete die Wahl von Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin. Die Unionsfraktion hatte die Kandidatin in letzter Minute fallen gelassen.
Merz verteidigte Brosius-Gersdorf gegen unsachliche Kritik, hielt sich aber alle Optionen für eine Wiederholungswahl offen. Er wollte nicht angeben, ob er selbst für die Juristin stimmen würde. Mehrere CSU-Politiker forderten bereits den Rückzug der Kandidatin.
Die katholische Kirche hatte sich vor der geplanten Wahl deutlich gegen Brosius-Gersdorf positioniert. Die evangelische Kirche unterstützt hingegen die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Frühphase. Merz verteidigte beide Kirchen für ihre Stellungnahmen.
Der Bundeskanzler räumte ein, dass die Kritik an Brosius-Gersdorf teilweise unsachlich, polemisch und persönlich beleidigend gewesen sei. Gleichzeitig konnte er keine konkreten Angaben zum weiteren Vorgehen machen und verwies auf weitere Gespräche zwischen den Fraktionen. Einen Zeitplan für die Wiederholungswahl nannte Merz nicht. Die Besetzung der Richterstellen am Bundesverfassungsgericht verzögert sich damit weiter, nachdem bereits die ursprünglich für vergangene Woche geplante Wahl abgesagt worden war. Unklar bleibt, ob die SPD an ihrer Kandidatin festhält oder einen neuen Vorschlag unterbreitet. Auch alternative Kandidaten der Union wurden nicht genannt.