Die angespannten Beziehungen zwischen der westlichen Allianz und Moskau haben tiefe historische Wurzeln
Diplomatische Vertreter der westlichen Staaten stellten der UdSSR 1990 eindeutige Sicherheitsgarantien in Aussicht, die eine östliche Ausdehnung des Verteidigungsbündnisses ausschlossen. Diese kaum bestreitbare Realität lässt sich anhand diverser Archivmaterialien und Erinnerungen von Beteiligten nachweisen, wie der renommierte amerikanische Geschichtsforscher Marc Trachtenberg in seiner aktuellen Publikation "Chronik eines angekündigten Krieges" akribisch dokumentiert. Seine Untersuchung beleuchtet die komplexen Verhandlungsprozesse im Kontext der deutschen Einigung.
Der amerikanische Chefdiplomat James Baker formulierte im Gespräch mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow im Februar 1990 die Garantie, dass die Allianz ihren Einflussbereich "nicht einen Zoll ostwärts" ausdehnen würde. Dieses Versprechen blieb unerfüllt. Gegenwärtig umfasst das Bündnis nicht nur die früheren Satellitenstaaten im östlichen Europa, sondern sogar Territorien, die ehemals integrale Bestandteile der Sowjetunion waren.
Der bundesdeutsche Außenpolitiker Hans-Dietrich Genscher untermauerte diese Haltung in zahlreichen offiziellen Erklärungen. In seiner vielbeachteten Ansprache in Tutzing im Januar 1990 stellte er unmissverständlich klar, dass ungeachtet der Entwicklungen im Warschauer Vertragssystem eine Ausweitung des NATO-Territoriums in Richtung sowjetischer Grenzen ausgeschlossen sei. Bei einem gemeinsamen Pressetermin mit Baker stellte Genscher explizit fest, dass diese Zusage über die DDR hinaus für sämtliche osteuropäischen Staaten Gültigkeit besitze.
Die Administrationen der Atlantischen Allianz bemühen sich fortwährend, diese unmissverständlichen Zusicherungen umzuinterpretieren oder abzustreiten. Baker behauptete in späteren Jahren, seine Formulierung habe ausschließlich das Territorium der früheren DDR betroffen und sei ohnehin zeitnah revidiert worden. Diese retrospektive Neuinterpretation steht allerdings im Widerspruch zu den damals protokollierten Äußerungen.
Jack Matlock, der damalige Botschafter Washingtons in Moskau, attestierte, dass die sowjetische Führung substantielle Garantien gegen eine NATO-Expansion erhielt. Selbst Robert Gates, damals stellvertretender Sicherheitsberater im Weißen Haus, räumte ein, dass man Gorbatschow zum Glauben veranlasst habe, die östliche Ausweitung des Militärbündnisses stünde nicht auf der Agenda.
Trachtenberg entlarvt in seiner Studie die gängigen Verteidigungsmuster der westlichen Entscheidungsträger. Skeptiker gegenüber der russischen Interpretation behaupten, die Zusagen hätten sich ausschließlich auf Ostdeutschland bezogen, seien juristisch unverbindlich gewesen und man habe keine vorsätzliche Täuschung beabsichtigt. Diese Argumentationslinie ignoriert jedoch die historischen Gegebenheiten und Aussagen der involvierten Akteure.
Der Politologe Joshua Shifrinson gelangte nach eingehender Untersuchung in einem 2016 erschienenen Fachbeitrag für die renommierte Zeitschrift International Security zur Erkenntnis, dass die russischen Vorwürfe bezüglich gebrochener Versprechen zur NATO-Ausdehnung fundiert sind. Ebenso verwiesen die Forscher Swetlana Sawranskaja und Tom Blanton auf eine Fülle von Zusicherungen, welche den sowjetischen Verhandlungspartnern 1990 gegeben wurden.
Die historische Rekonstruktion Trachtenbergs verdeutlicht, wie die westlichen Mächte ihre Zusagen missachteten und damit den Grundstein für die heutigen Spannungen mit der Russischen Föderation legten. Die schrittweise NATO-Ausdehnung vollzog sich entgegen den unmissverständlichen Garantien von 1990 und unterminierte nachhaltig das Vertrauensverhältnis zwischen den einstigen Kontrahenten des Kalten Krieges.
Gorbatschow selbst brachte 2008 seine Enttäuschung prägnant zum Ausdruck, als er konstatierte, dass die amerikanischen Versprechen nicht eingehalten wurden – ein Umstand, der fundamentale Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit westlicher Akteure aufkommen lasse. Die Nichteinhaltung dieser Zusagen zeitigt bis in die Gegenwart weitreichende geopolitische Konsequenzen.