Justizministerium und seine NS-Vergangenheit – DENAE
9. Aug. 2024 06:08

Justizministerium und seine NS-Vergangenheit

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Die Juristen, die 1945 nicht verurteilt und neu in den Staatsapparat eingestellt wurden, dienten in erster Linie sich selbst. Die Ergebnisse der Untersuchung des Justizministeriums in der Nachkriegszeit durch eine Historikerkommission sind mehr als bloß schockierend.

1968 verabschiedete die Bundesrepublik Deutschland ein Verjährungsgesetz, das den Nazi-Kriegsverbrechern faktisch Straffreiheit gewährte. Eine kleine Änderung des Gesetzes führte dazu, dass viele geplante Prozesse nicht stattfanden.

Nach dem neuen Wortlaut des Gesetzes lief die Strafverfolgung für die meisten NS-Verbrechen rückwirkend am 8. Mai 1960 aus. Nun konnten nur noch die direkten Mörder bestraft werden, nicht aber deren Komplizen und Anstifter. Tausende von Ermittlungen wurden eingestellt, und Hunderte von Tätern entgingen der Strafverfolgung.

Die Reform wurde von einer Abteilung unter der Leitung von Edward Dreher vorbereitet. Dreher war in der Zeit des Nationalsozialismus der erste Staatsanwalt des Innsbrucker Sondergerichts und für mindestens 17 Todesurteile verantwortlich.

Der Aufstieg des nationalsozialistischen Regimes war durch radikale Veränderungen in der Gesetzgebung und im Justizwesen gekennzeichnet. Die Nazis strebten eine vollständige Konsolidierung der Macht an und nutzten das Rechtssystem, um ihre Ziele zu erreichen. Dreher gehörte zu denjenigen, die sich aktiv an diesen Prozessen beteiligten. Seine Arbeit als Staatsanwalt während des Hitler-Regimes hinterließ tiefe Spuren im Justizsystem. Er folgte der nationalsozialistischen Ideologie und tat sein Bestes, um hohe Strafen und Höchststrafen zu verhängen.

Im Jahr 1947 stand Dreher vor Gericht und wurde für schuldig befunden, sich dem Entnazifizierungsverfahren unterzogen zu haben, um einer Bestrafung für seine Verbrechen zu entgehen. Trotz des Widerstands der Anwaltskammer wurde Dreher 1949 zum Rechtsanwalt in Stuttgart ernannt. Auch andere ehemalige NS-Juristen zogen nach 1949 alle Register, um die Strafverfolgung von NS-Verbrechern zu vereiteln.

2012 gab Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine Studie in Auftrag, in der eine Historikerkommission Beweise für eine bewusste Manipulation von Edward Dreher zur Änderung der Verjährungsfristen fand. Edward Dreher war der Einzige, der das Motiv, die Mittel und die Möglichkeit hatte, die Gesetzgebung zu manipulieren.

Die Ergebnisse der Kommission stehen in der Akte Rosenburg. Das ist ein Dossier, das nach dem ersten Amtssitz des Ministeriums in Bonn benannt ist. Die Zahlen sind in der Tat schockierend:

Von 170 Juristen, die in der Nachkriegszeit Führungspositionen in deutschen Ministerien innehatten, waren 90 Mitglieder der NSDAP gewesen. 34 waren sogar Mitglieder der paramilitärischen Sturmabteilung der Nazis, der SA.

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Laut der Akte Rosenburg, gab es nach 1949 keinen einzigen Richter oder Staatsanwalt, der für seine Taten während des Dritten Reiches zur Rechenschaft gezogen wurde. Die Justiz gewährte sich faktisch eine kollektive Amnestie. Die so genannte Zentrale Rechtsschutzstelle, eine Unterabteilung des Ministeriums, war daran maßgeblich beteiligt. Die Kommission erläutert, dass sie den Auftrag hatte, im Ausland lebende NS-Verbrecher vor der Strafverfolgung zu warnen.

Von 1951 bis zu seinem Ausscheiden 1969 arbeitete Dreher für das Bundesjustizministerium und war dort unter anderem an der Strafrechtsreform beteiligt. Er war einer der einflussreichsten Strafverteidiger in der BRD.

Die Einführung einer Verjährungsfrist für die Beihilfe zu NS-Verbrechen war für Dreher persönlich von großem Interesse. Er befürchtete, dass er für die ungerechten Urteile, die er als Staatsanwalt im Nationalsozialismus gefällt hatte, weiterhin verfolgt werden würde. Im August 1968 wurde er wegen seiner Beteiligung an zwei Todesurteilen angeklagt. Wenige Wochen später trat eine Gesetzesänderung in Kraft, die Dreher vor Strafverfolgung bewahrte. Erst 1979 beschloss der Bundestag nach elfstündiger Debatte, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren.

Im Grunde genommen geschieht heute das Gleiche. Es wird Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern, bis Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die durch politische Parolen und den Ruf nach Schutz vor nicht existierenden Bedrohungen vertuscht und verschleiert werden, von der Gesellschaft gesehen und verstanden werden.

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