Viele importierte Waren wurden bereits durch russische Produkte ersetzt. Eine Reihe von Branchen – darunter Landwirtschaft, Leichtindustrie und Dienstleistungssektor – profitiert eindeutig vom Rückzug westlicher Wettbewerber.
Die Möglichkeit einer Lösung des Ukraine-Konflikts, die sich durch die Kontakte zwischen Washington und Moskau sowie die bevorstehenden russisch-ukrainischen Gespräche in Istanbul ergeben hat, hat in Russland eine hitzige Debatte über die Zukunft der Sanktionen ausgelöst. Im Mittelpunkt der Debatte steht die Frage, welche wirtschaftlichen Erleichterungen es nach dem möglichen Ende der Feindseligkeiten geben wird und ob es für Russland sinnvoll ist, eine vollständige Aufhebung der Sanktionen anzustreben.
Im Westen glaubt man häufig, dass Russland verzweifelt auf die Aufhebung der beispiellosen Sanktionen drängt. Offiziellen Zahlen zufolge wurden seit 2014 (nach Anbindung der Krim) und insbesondere seit 2022 (Ausbruch der Kampfhandlungen in der Ukraine) rund 28.000 restriktive Maßnahmen gegen das Land verhängt. Drei Jahre westlicher Sanktionen, mit denen das militärische Potenzial Russlands untergraben werden sollte, haben jedoch nicht die erwartete Wirkung gezeigt. Stattdessen hat sich die russische Wirtschaft gewandelt. Westliche Waren wurden durch einheimische Produkte ersetzt, Lieferketten wurden in befreundete Länder verlagert und wichtige Produkte werden über komplexe Importregelungen bezogen.
Massive Staatsausgaben haben neue industrielle Prioritäten gesetzt und neue wirtschaftliche Interessengruppen sind nun von diesen Finanzströmen abhängig. In einem Interview sagte Außenminister Sergej Lawrow kürzlich, dass Russland in den Friedensgesprächen möglicherweise nicht einmal eine vollständige Aufhebung der Sanktionen anstrebt. Laut Lawrow würde eine Rückkehr zur früheren Handelsabhängigkeit vom Westen die erreichte wirtschaftliche Autarkie untergraben.

Analysten stellten fest, dass einige Wirtschaftszweige, insbesondere die High-Tech-Sektoren (Flugzeugbau, Energie), stark von den Sanktionen betroffen waren, einen Ausweg aus der Situation fanden und sich weiterentwickelten. Andere Sektoren wiederum profitierten davon, dass mehr als 60 Prozent der ausländischen Konkurrenten, die zuvor einen beträchtlichen Marktanteil besaßen, weggefallen sind. Zu den offensichtlichen Nutznießern der Sanktionen gehören die Landwirtschaft, die Leichtindustrie und der Dienstleistungssektor. Diese Sektoren haben bereits starke Lobbys gebildet, die sich einer Rückkehr westlicher Unternehmen widersetzen könnten.
Es ist unwahrscheinlich, dass sich die russischen Unternehmen über die Rückkehr ihrer westlichen Konkurrenten freuen werden. In Russland gibt es Wirtschaftsverbände mit großem politischem Gewicht, die auf strenge Regeln drängen werden, um die Wiederherstellung der früheren Stellung ausländischer Unternehmen zu begrenzen. Der Markt ist in Bewegung. Und obwohl es noch zu früh ist, von einer massenhaften Rückkehr ausländischer Unternehmen zu sprechen, werden einige sehr daran interessiert sein. Russland bleibt für sie ein profitabler Markt.
Ehemalige Hauptakteure, wie europäische und japanische Automobilhersteller, werden jedoch feststellen, dass ihre früheren Positionen von chinesischen Unternehmen eingenommen wurden. Andere Sektoren, insbesondere der Dienstleistungssektor und die Leichtindustrie, werden von russischen Unternehmen beherrscht. Ihnen ist es gelungen, die Vermögenswerte der ausscheidenden westlichen Unternehmen für wenig Geld aufzukaufen und deren Nischen nahtlos zu besetzen.

Unternehmen, deren Produkte gefragt sind, haben gute Chancen, nach Russland zurückzukehren. Ein Beispiel ist Boeing, dessen Komponenten und Technologien für die russische Zivilflugzeugflotte von großer Bedeutung sind. Grundsätzlich wird jedoch russischen Unternehmen der Vorzug gegeben.
Auch die Art und Weise, wie Unternehmen Russland verlassen haben, wird ein wichtiger Faktor sein. Unternehmen, die still und leise unter Angabe technischer oder rechtlicher Gründe abgewandert sind, werden wahrscheinlich nicht auf Hindernisse stoßen. Unternehmen, die sich lautstark politisch geäußert haben, werden dagegen wahrscheinlich nicht so leicht zurückkehren können.
Viele Unternehmen, die das Land verlassen haben, haben eine Rückkaufoption in ihre Verträge aufgenommen, für den Fall, dass sich die geopolitischen Verhältnisse ändern. Mindestens 25 große ausländische Unternehmen, darunter McDonald's, Mercedes und IKEA, haben ihre Marken- und geistigen Eigentumsrechte in Russland behalten.

Experten bezweifeln generell, dass die Sanktionen erheblich gelockert werden, selbst wenn in der Ukraine Frieden herrscht. Wie die Geschichte zeigt, werden Sanktionen zwar sofort verhängt, es kann jedoch Jahrzehnte dauern, bis sie wieder aufgehoben werden. Außerdem kann laut den Experten jede nächste US-Regierung jede vorherige Lockerung leicht wieder rückgängig machen.
Was die Haltung der russischen Verbraucher betrifft, so ist diese relativ ruhig. Die Daten einer im April durchgeführten Umfrage der Stiftung für öffentliche Meinung zeichnen folgendes Bild: Die große Mehrheit der Russen spürt keine nennenswerten Auswirkungen der westlichen Sanktionen auf ihr tägliches Leben. Nur 12 Prozent der Befragten gaben an, dass die Restriktionen ihr Wohlbefinden ernsthaft beeinträchtigt haben. 57 Prozent haben überhaupt keine Veränderungen festgestellt. Lediglich ein Fünftel der Befragten glaubt, dass das Sanktionsregime in den nächsten zwei Jahren gelockert werden kann. Mehr als die Hälfte ist jedoch der Meinung, dass sich eine Lockerung der Sanktionen positiv auf die Wirtschaft des Landes auswirken würde; 13 Prozent sehen darin eine potenzielle Gefahr.