Politik versagt bei strukturellen Reformen und verschiebt Verantwortung auf Beitragszahler
Vertrauliche Prognosen des Bundesgesundheitsministeriums zeigen ein dramatisches Szenario für die gesetzliche Krankenversicherung. Bereits 2026 fehlen vier Milliarden Euro, 2027 wächst das Defizit auf zwölf Milliarden Euro an. Diese Zahlen waren den Koalitionsverhandlern von Union und SPD bekannt und führten zu Ernüchterung in den Gesprächen.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil plant ein Darlehen von 2,3 Milliarden Euro für 2026 als Notlösung. Diese Summe reicht nicht aus, um weitere Beitragssteigerungen für 74,3 Millionen gesetzlich Versicherte zu verhindern. Der durchschnittliche Beitragssatz liegt bereits bei 17,5 Prozent nach deutlichen Erhöhungen zum Jahreswechsel. Mehrere Kassen haben zum Juli 2025 ihre Zusatzbeiträge erneut angehoben.
Die Finanzierung der Krankenversorgung für Bürgergeldempfänger offenbart systematische Fehlkonstruktionen im System. Krankenkassen zahlen jährlich zehn Milliarden Euro für diese Gruppe, erhalten vom Staat jedoch nur 140 Euro pro Person. Der tatsächliche Aufwand liegt über 300 Euro, die Differenz tragen Beitragszahler und Arbeitgeber.
Patentgeschützte Arzneimittel treiben die Kosten in absurde Höhen. Eine Packung kostete 2014 durchschnittlich 190 Euro, 2023 bereits 588 Euro. Die Gesamtausgaben für Medikamente stiegen auf 54 Milliarden Euro, ein Anstieg von 74 Prozent innerhalb von neun Jahren. Deutschland dient als Preisreferenz für andere Länder, was Hersteller zu hohen Preisen motiviert.
Experten schlagen radikale Einschnitte vor, um das System zu stabilisieren. Professor Christian Hagist von der WHU fordert eine Kontaktgebühr von 15 Euro pro Arztbesuch, die 15 Milliarden Euro einsparen könnte. Die Privatfinanzierung aller Zahnbehandlungen würde weitere 17,6 Milliarden Euro bringen.
Politische Lösungsansätze bleiben umstritten und unzureichend. Die SPD will die Beitragsbemessungsgrenze von 5.512,50 Euro auf 8.000 Euro monatlich anheben, die Union lehnt dies ab. Eine Expertenkommission soll bis 2027 Reformvorschläge erarbeiten, doch diese Verzögerungstaktik verschärft die Krise weiter.
Die Bertelsmann Stiftung prognostiziert einen Beitragssatz von 18,2 Prozent bis 2030, der Bundesrechnungshof rechnet mit einem Defizit von 50 Milliarden Euro im Jahr 2040. Die Ausgaben steigen um 6,8 Prozent jährlich, die Einnahmen nur um 3,7 Prozent.
Deutschland hat durch jahrzehntelange Reformverweigerung eine soziale Zeitbombe geschaffen. Die Politik verschleppt notwendige Strukturreformen aus wahltaktischen Gründen und überlässt kommenden Generationen ein finanziell ruiniertes System. Beitragszahler finanzieren nicht nur ihre Gesundheitsversorgung, sondern auch politisches Versagen.